Eröffnung der Sonderausstellung
135 Jahre Rathenower augenoptische Werkstattechnik
Anlässlich des „Forums Optik Rathenow 2009“
und der „1. Langen Nacht der Optik“
im OptikIndustrieMuseum in Rathenow
Das Rathenower OptikIndustrieMuseum eröffnete am 6. Juni die Sonderausstellung 135 Jahre augenoptische Werkstattechnik.
Die Ausstellung bot einen umfassenden Überblick über die Produktion augenoptischer Werkstatttechnik am Standort Rathenow.
Ziel dieser Ausstellung war es, eine generationsübergreifende Präsentation zu schaffen, die sowohl die augenoptische Fachwelt, wie auch die Rathenower Bürgerinnen und Bürger als Produzenten interessiert.
Das Rathenower Produkt- und Leistungsfeld als Stadt der Optik wurde in starkem Maße durch das Technologiefeld der augenoptischen Werkstatttechnik geprägt.
Die augenoptische Werkstatt- und Refraktionstechnik bedarf als technologie- und innovationsintensiver Wirtschaftszweig zu seiner kontinuierlichen Entwicklung eines entsprechenden Umfeldes wissenschaftlicher und produktiver Leistungen. Rathenow hatte dazu alle Voraussetzungen. Umgekehrt wurde die Entwicklung der Rathenower optischen Industrie mit Sicherheit auch wesentlich durch dieses Produktsegment befördert.
Bekannte, auf den Weltausstellungen der 20-iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ausgezeichnete Brillenglasbearbeitungsmaschinen der Marke Triumpf sind beispielgebend. Den Namen Rathenow weltbekannt gemacht haben Firmen wie Nitschke & Günter, Werkzeug- und Maschinenfabrik Rathenow (WUMRA), Runge & Kaulfuß (RUKA), Wernicke & Co. (Weco), und Breitfeldt & Schlieckert. Insgesamt an die 100 Firmen mit mehreren tausend Beschäftigen, welche als Zulieferer und Endproduktfertiger in dieser augenoptische Sparte tätig waren.
Etwa 1965 begann eine neue Generation von Konstrukteuren mit der Entwicklung der Opto- Familie. Hunderte Beschäftigte in den Rathenower Optischen Werken produzierten die Erzeugnisse und lieferten sie in viele Erdteile. Südamerika, Afrika, Asien und natürlich der europäische Kontinent waren die Zielmärkte.
Seit den 90-iger Jahren setzt die Firma OPTOTEC Optotechnischer Gerätebau GmbH diese Tradition als Vollanbieter in diesem Geschäftsfeld fort.
1874 war es die Firma WUMRA, die Schleif- und Bearbeitungstechnik für die Augenoptik fertigte. Damit begann in Rathenow eine äußerst dynamische Entwicklung innovativer feinmechanischer Maschinen, Geräte und Spezialwerkzeuge für den Augenoptikerbedarf.
Gab es 1882/83 in Rathenow schon etwa 100 Betriebe der optischen Industrie und des Großhandels, so stieg diese Zahl bis 1920 stetig auf ca. 130 eingetragene Unternehmen an, um dann sprunghaft auf 260 Firmen bis zum Jahre 1932 anzuwachsen.
In diesem Zeitraum, von 1920 bis 1930, vollzog sich auch die enorme Entwicklung der Rathenower augenoptischen Werkstatt- und Refraktionstechnik. Erwähnt seien hier nur die Unternehmen Nitsche & Günther AG (N&G), Emil Busch AG, WUMRA- Werkzeug- und Maschinenfabrik Rathenow, Runge & Kaulfuss (RUKA), Wernicke & Co (WECO), Franz Rapsch Optische Fabriken und Breitfeld & Schliekert- zum Teil Namen, welche auch heute noch die augenoptische Werkstatttechnik prägen. Diese bedeutende Entwicklung der Industrie am Standort Rathenow ist nicht von der Entwicklung der Wissenschaft zu trennen, die im augenoptischen Bereich erheblich von hier aus beeinflusst wurden. Dabei sind ebenso die Leistungsfähigkeit und das Können der vielen mechanischen Werkstätten und Meisterbetriebe hervorzuheben.
Die Rathenower Hersteller von Brillengläsern und optische Linsen verwendeten in ihrer Produktion optische Geräte der genannten Hersteller, z.B. Scheitelbrechwertmesser und Zentrierapparate. Spezialmaschinen für diesen Sektor stellten u.a. auch die Rathenower Unternehmen Lindemann und Eichel her.
Die Nitsche & Günther AG war zunächst auf optische Geräte der Refraktion und der Augenoptikerwerkstatt spezialisiert. 1924 entstand aus der Übernahme der Fabrikation von Maschinen und Randbearbeitungsautomaten der Fa. Schumann, Düsseldorf, durch Nitsche & Günther das Warenzeichen „Triumph“. N&G entwickelte sich damit zum Spezialanbieter augenoptischer Werkstatt- und Refraktionstechnik.
Zwischen 1923 und 1925 favorisierte N&G für die objektive Untersuchung die Skiaskopier- und Beleuchtungslampen, ein Studienauge und einen Skiaskopieraugenspiegel. Zu Beginn des Jahres 1925 stellte Nitsche & Günther AG einen Zentrierapparat vor, der sphärische, zylindrische und prismatische Brillengläser bei Tageslicht optisch zentrieren und die Zylinderachsen und Prismenlagen genauestens prüfen und anzeichnen konnte. Im Verlaufe des Jahres 1925 erweiterte man das Programm durch neue, preiswerte Zentrierapparate, bei denen die Anzeichnung über eine Schreibfeder erfolgte. Zur Bestimmung der prismatischen Wirkung waren Skalen vorgesehen. Im gleichen Jahr stellten N&G den Triumph-Kleinautomaten A7 zur Brillenglasrandbearbeitung vor. Eine Weiterentwicklung (Typ A739) schliff mit einer Formscheibe Flachfacetten und ohne den Einsatz von Formscheiben Winkelrandfacetten. Die Schwinge hob bei Beendigung des Schleifprozesses automatisch vom Glas ab. Das weitere Programm der Werkstattmaschinen bei N&G umfasste zu diesem Zeitpunkt Bohr-, Polier- und Handschleifmaschinen sowie Kleinwerkzeuge und Werktische verschiedener Ausführung.
1927 würdigte die Deutsche Optische Wochenschrift (DOW) die Solidität der Schleifmaschine der Fa. Wernicke & Co. Die Firma selbst bewarb intensiv den für alle Randdicken ausgelegten Facettierapparat „Heinzelmännche“. Im gleichen Jahr stellte WECO in der DOW den Vollautomaten FM 14 und 1929 den Halbautomaten FM 21 zur Brillenglasrandbearbeitung als konkurrenzlose Erzeugnisse vor. Ebenfalls im Jahre 1927 stellte die Emil Busch AG ein Augenrefraktometer nach Prof. Dr. Thorner zur objektiven Messung der Fehlsichtigkeit (Myopie, Hypermetropie, Total-Astigmatismus) vor. Die Untersuchung wurde durch keinerlei Reflexe auf der Hornhaut gestört. Die Fachwelt würdigte diesen Apparat als zuverlässiges und schnell arbeitendes Instrument. Auf dem Markt war bereits das Busch-Sehprüfgerät Corrector zur subjektiven Refraktion. In paarig angebrachten, völlig geschlossenen Trommeln waren sphärische und zylindrische Probiergläser installiert. Dieses Gerät, technisch gesehen ein Vorläufer des heutigen Phoropters (automatisches Refraktionsprüfsystem), war eine mechanische und optische Meisterleistung und durch zahlreiche Patente geschützt.
Der Busch-Handaugenspiegel dieser Zeit zeichnete sich durch strenge Reflexfreiheit, 17-fache Vergrößerung, ein großes Gesichtsfeld und hohe Wendigkeit aus, wodurch auch die Beobachtung peripherer Netzhautgebiete möglich war.
Einer Schrift aus dem Jahre 1929 sind eingetragene Warenzeichen Rathenower Produkte zu entnehmen. Hier sind auf dem Gebiet der augenoptischen Werkstatttechnik die Namen „Einschleifbiene“ für Halbautomaten und „Triumph“ für eine Optikermaschinenfamilie der Nitsche & Günther AG, „Fortuna“ für Brillenglasschneidemaschinen der Fa. WUMRA sowie „Heinzelmännchen“ für Winkel- und Flachrandschleifmaschinen der Fa. Wernicke & Co. Erwähnt. Im April 1929 stellte N&G den Triumph-Flachrandautomaten A5 vor, der bis zu 8 Gläser gleichzeitig bearbeiten konnte.
Die Deutsche Optische Wochenschrift berichtete 1930 von der Verleihung einer Goldmedaille durch die internationale Jury der Weltausstellung in Barcelona für die ausgestellten Optikmaschinen und Augenoptikerwerkbänke, bestehend aus Glasrandschleifmaschine, Bohr- und Poliermaschine sowie Glasschneidegerät der Firma WUMRA-Werkzeug- und Maschinenfabrik Rathenow.
1930 würdigte die Fa. Runge & Kaulfuss anlässlich ihres 10-jährigen Firmenjubiläums den Einzug in ein neues Fabrikgebäude in der Jägerstraße 24 (heute Goethestraße) in Rathenow. Hochgradig spezialisiert war das Unternehmen auf dem Gebiet der Scheitelbrechwertmesser. Das Erzeugnisprogramm umfasste des Weiteren Glasbohrmaschinen, Glasschneidegeräte sowie Schleif- und Poliermaschinen für die augenoptische Werkstatttechnik. Zur Refraktionsunterstützung bot die Firma Keratometer, Augenabstandsmesser, den veränderten Kreuzzyliner-Asti-Test, oberflächenverspiegelte Lesespiegel und Sehprobentrommeln sowie nach der Turvile-Methode als auch in Normschrift an.
Eine besondere technisch-wissenschaftliche Leistung war der RUKA-VARIATOR zur subjektiven Bestimmung der sphärischen Fehlsichtigkeit, des Astigmatismus und der Lage der Zylinderachse. Die patentierte Konstruktion der optischen Systeme ermöglichte es, die Austrittspupille an die Stelle zu bringen, an der sich das später zu tragende Brillenglas befinden soll.
1931 stellte die Nitsche & Günther AG eine neue Anpasslampe vor, die schwenkbar gelagert und mit Spiegel transparenter Leseprobe versehen war. Drei Jahre später offerierte N&G den Brillenglasrandschleifautomaten N.G.-ROBOTER, der runde, ovale, pantoskopische und eckige Form in einer völlig wellenfreien, gleichmäßigen und mattglänzenden Oberfläche herstellte, eine selbständig abhebende Schwinge besaß und mit einer Signalmarke die Beendigung des Arbeitsprozesses anzeigte.
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